Neues System lässt Spiele schlechter erscheinen, die Mentalität der Spieler die Trainer verzweifeln
Nein. Die Spieler sind technisch nicht schlechter geworden. Das Tempo ist höher, die Räume sind enger geworden. Das Spiel an sich hat sich verändert. Das Spiel ohne Ball hat sich nicht mitentwickelt.
Die Spieler haben früher viel mehr Zeit gehabt, etwas mit dem Ball anzufangen. Heute wirst du sofort angegriffen.
Die Jungs waren früher nicht athletischer, sie waren mit Sicherheit sogar schlechter trainiert als heute.
In der Kreisliga B ist der Fußball eher besser geworden. Weil da heute Spieler mitmachen, die viel höher spielen könnten, aber keine Zeit zum Trainieren haben oder nicht wollen. Romano Scigliano war vor vielen Jahren zum Probetraining bei Arminia Bielefeld, jetzt ist er mit dem AC Beinstein Meister in der Kreisliga B III geworden.
Man muss sehen, wie sich der Amateurfußball in den letzten 20, 30 Jahren entwickelt hat. Früher gab’s die Oberliga, das war die dritte Liga. Oberliga ist heute nur noch die fünfte Liga.
Es sind zwei Klassen eingeschoben worden. Das heißt: Auch die Landesliga ist heute nicht mehr das, was sie mal war.
Wir müssen doch erst mal fragen: Was ist ein schlechtes Fußballspiel? Eines, in dem es keine Torchancen gibt? Oder in dem es zu viel technische Probleme gibt? Wenn ein Spiel 6:6 ausgeht, spricht der neutrale Zuschauer von einem Superspiel, der Trainer kriegt einen Vogel. Für mich ist ein gutes Spiel, wenn wir Spielkontrolle haben und den Ball in den eigenen Reihen halten können und die Angriffsbemühungen gezielt nach vorne tragen. In den unteren Amateurligen aber versucht jeder Trainer, seine Pressingzonen einzurichten, um das Spiel des Gegners zu zerstören. Wenn das beide Mannschaften machen, kommt ein für den Außenstehenden schlechtes Fußballspiel zustande.
Wer heute oft auf den Sportplatz geht, sagt: Ab der Verbandsliga aufwärts kannst du als neutraler Zuschauer ein Fußballspiel erst anschauen.
Ich glaube, das liegt am System. Man propagiert immer das schnelle Umschaltspiel. Aber die Spieler in den unteren Klassen können damit nicht umgehen. Du hast doch in einer Halbzeit manchmal nur vier, maximal fünf Situationen, in denen der Ball über mehr als fünf Stationen gespielt wird. System erschlägt Kombinationsfußball.
Es fallen auf jeden Fall mehr Defensivspieler auf als offensive.
Den Ball zu gewinnen, das gehört zum Einfachsten. Aber: Ballgewinn, was mach ich dann - das ist für den Trainer am schwierigsten überhaupt zu trainieren.
Ich besuche ab und zu das Training von Hoffenheim oder Kaiserslautern. Das ist klasse, die können kicken, da geht die Post ab, da flippe ich total aus. Und dann sehe ich die im Stadion und denke: Was machen die? Wo ist die Spielfreude, der Esprit, die Lust an dieser Sportart? Das ist nur noch Taktik.
Es liegt schon auch am System. Ein Spiel heute ist oft nur ein permanentes Ballerobern. Aber es liegt auch an den Spielern. Wenn heute einer den Ball erobert, gibt es kaum noch einen in der Spitze, dem er den Ball zuspielen kann und der den auch verteidigen kann. Außerdem sind auch nicht sofort alle anderen Offensivspieler in Bewegung, um angespielt werden zu können.
Nein, aber sie haben eine andere Einstellung. Heute spielen viele andere Dinge eine große Rolle. Training? Wenn ich Zeit hab, geh ich hin. Hab ich keine, gehe ich nicht hin. Mentalität, Einstellung zum Spiel - das ist heute eine komplett andere Welt.
Das kann ich unterstreichen. Du hast beispielsweise in der Saisonplanung Gespräche mit Spielern, die haben zwar noch keine 25 guten Bezirksligaspiele gemach, aber die haben Forderungen. Da frage ich mich dann: Wo nimmt dieser Spieler dieses Selbstbewusstsein - vielleicht sogar diese Frechheit - her? Früher war das kein Thema. Da bist du zu einem Verein, weil du Spaß gehabt hast am Fußball.
Du kannst heute mit der Kaderplanung im Dezember anfangen und bekommst 15 Zusagen von den Spielern, und im April hast du davon noch zwei übrig. Ein Wort bzw. eine Zusage zählt dann nicht mehr.
Das fängt schon in der Jugend an. Die Spieler wechseln immer früher und immer öfter. Und wenn sie’s dort nicht packen oder Gegenwind vom Trainer kommt, wechseln sie wieder. Ich hatte mal einen in der C-Jugend, der war schon bei fünf Vereinen.
Die Spieler bringen keine Geduld und Lernbereitschaft mehr mit, und nicht das Wollen, das Brennen: Heute gewinnen wir! Lieber den schlanken Weg gehen.
Die Eltern, die die Kinder bereits in frühen Jahren von Verein zu Verein fahren.
Die Spieler bekommen in der Jugend auch falsche Signale. Es ist einerseits toll, was hier gemacht wird. Aber der Leistungsgedanke: „Ich will mich heute zerreißen für den Sieg“, das gibt es offenbar nicht mehr. Ich höre immer: Wir bilden aus, Siege sind uns nicht so wichtig. Da wundert’s einen doch nicht, wenn ein 16-Jähriger fragt: Gegen wen spielen wir heute eigentlich? Das wird denen auch antrainiert: Wir haben zwar 2:3 verloren, aber das System haben wir hervorragend gespielt. Ich bin nie auf den Platz gegangen, um ein tolles System zu spielen. Sondern um zu gewinnen.
Was würde denn passieren, wenn ich jedem Einzelnen meine ehrliche Meinung sagen würde? Dann kämen diese Spieler nicht mehr ins Training. Du kannst heut keinem mehr sagen, das und das war schlecht. Du musst immer Angst haben, der Spieler kommt morgen nicht mehr, sondern geht zum nächsten Verein. Das macht’s für uns so brutal schwierig. Wir Trainer sind in diesen Klassen doch Marionetten. In den oberen Klassen können die Spieler den Mund nicht so aufmachen.
Wenn ich mir vorstelle, ich hätte vor 20 Jahren meinem Trainer vor versammelter Mannschaft gesagt: Nein, ich seh’ das anders. Was glaubst du, was meine Mitspieler mit mir gemacht hätten? Der Trainer hätte gar nichts tun müssen.
Die Spieler müssten wieder ehrlicher und loyaler gegenüber dem Verein sein und vor allem loyaler gegenüber dem Trainer. Der ist immer auf dem Sportplatz, Tag und Nacht erreichbar. Und dann wird seine Arbeit mit Füßen getreten. Wenn ein Spieler die ganze Woche Spätschicht hat und nicht weiß, wann am Sonntag Treffpunkt ist. Meinst du, der ruft mich an? Da muss ich hinterhertelefonieren.
Da lügen wir uns doch in die Tasche. Wenn du das machst, hast du in deiner Mannschaft vielleicht noch sechs, sieben Spieler, die das Niveau haben, in der entsprechenden Liga zu spielen, und spielst eine Saison im Niemandsland. Und wenn du den sechs, sieben Guten nichts bietest, sind die auch weg.
Ich hab mir früher auch mal überlegt, von Fellbach nach Urbach zu wechseln. Da haben mich sieben Mitspieler zur Seite genommen und zwei Stunden mit mir darüber geredet, was ich mir dabei eigentlich denke.
Dass die mit dir reden, kann dir heute auch passieren. Aber die sagen: Kannst du fragen, ob ich auch kommen kann?
Die Spieler heute denken anders. Wenn ich höre: Geld in der Kreisliga B!? Das ist unvorstellbar! Und kaum einer versucht mal den Sprung wirklich nach oben.
Du machst das, weil du den Fußball liebst.